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Betriebsratsvergütung… eine Never-Ending-Story

Es ist wieder passiert. VW… Betriebsräte… Vergütung… eine wirklich unendliche Geschichte. Bereits in unserem Beitrag aus September 2022 berichteten wir über „Neues aus Wolfsburg“. Damals lag (endlich) die Begründung des Landgerichts Braunschweig in dem Strafverfahren gegen vier (ehemalige) Personalmanager vor, die sich einer Anklage wegen Untreue ausgesetzt sahen. Den Angeklagten wurde vorgeworfen, sie hätten als Personalverantwortliche in den Jahren 2011 bis 2016 fünf Betriebsräten, u.a. dem ehemaligen Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats, zu hohe Vergütungen und Boni von mehr als 4,5 Mio. Euro bewilligt. Alle vier Angeklagten wurden freigesprochen. Der ergangene Freispruch wurde damit begründet, die Angeklagten seien irrig davon überzeugt gewesen, pflichtgemäß und gesetzeskonform zu handeln.

Diese Freisprüche wurden nunmehr durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 10.01.2023 – 6 StR 133/22) nicht ganz überraschend aufgehoben.

Unabhängig von einer Strafbarkeit bzw. strafrechtlichen Bewertung des Sachverhalts sind dem Urteil weitreichende Implikationen auf die künftige Handhabe der Arbeitgeber im Umgang mit der Bezahlung insbesondere freigestellter Betriebsrät*innen zu entnehmen. Um eines vorwegzunehmen: Das Urteil kann und darf nicht das letzte Wort zu der Problematik sein.

Aber zunächst auf Anfang: Die Mitglieder des Betriebsrats führen ihr Amt bekanntlich unentgeltlich als Ehrenamt (§ 37 Abs. 1 BetrVG). Dieses zentrale Prinzip der Betriebsverfassung besagt, dass für Betriebsratsmitglieder immer nur die Arbeitsleistung als Arbeitnehmer*in, niemals jedoch die Betriebsratsarbeit selbst zu bezahlen ist. Demgemäß haben sie mit Ausnahme des in § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG geregelten Ausnahmefalls keinen Anspruch auf eine besondere Vergütung ihrer Betriebsratstätigkeit. Betriebsratsmitglieder dürfen auf der anderen Seite wegen ihrer Betriebsratstätigkeit weder begünstigt noch benachteiligt werden, § 78 Satz 2 BetrVG. Das Zusammenspiel des Ehrenamtprinzips mit dem Benachteiligungs-/Begünstigungsverbot stellt die Praxis (nicht nur VW) mit Blick auf die Vergütung vollfreigestellter Arbeitnehmervertreter*innen vor unlösbare Probleme. Zahlt man den Betriebsrät*innen zu wenig, benachteiligt man sie – auch im strafrechtlich relevanten Sinne. Zahlt man ihnen zu viel, klopft ebenfalls die Staatsanwaltschaft an. Wie man es macht, macht man es offenkundig falsch.

Betrachtet man nunmehr die Betriebsratsseite, muss festgestellt werden, dass Betriebsratsmitglieder grundsätzlich nicht in der Lage sind nachzuweisen, dass sie ohne ihr Ehrenamt eine günstigere berufliche Entwicklung genommen hätten. Der Gesetzgeber hat aus Sorge vor jener strukturellen Benachteiligung die sog. Entgeltgarantie des § 37 Abs. 4 BetrVG im Jahre 1972 eingeführt. Danach darf das Arbeitsentgelt von Betriebsratsmitgliedern nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Und mit dieser Ergänzung fingen die Probleme an. Was im Jahre 1972 als gut gemeinte Novellierung gedacht war, zeigt sich heutzutage immer deutlicher als reformbedürftiger Fehlgriff. Die Rechtsprechung ist vielfältig, die Formulierung lädt zu Missinterpretationen ein und die Anwendung ist für die Praxis kompliziert. Dies zeigt mustergültig die Entscheidung des 6. Strafsenats des BGH.

Nach dem BGH schließe § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG eine Bewertung der Betriebsratstätigkeit für Vergütungszwecke aus. Das gelte auch für im Betriebsratsamt erworbene Qualifikationen, soweit sie nicht im Zusammenhang mit der bisherigen Arbeitstätigkeit stehen. Denn die Betriebsratstätigkeit ist unentgeltlich auszuüben, wobei im Interesse der Unabhängigkeit ein strenger Maßstab anzulegen ist. Dieser verbiete es, auf die hypothetische Gehaltsentwicklung des Betriebsrats bei einer Sonderkarriere abzustellen. Vergleichbar sei vielmehr nur, wer im Zeitpunkt der Amtsübernahme ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten ausgeführt hat und dafür in gleicher Weise wie der Betriebsrat fachlich und persönlich qualifiziert war. Üblich ist eine Entwicklung, wenn die überwiegende Anzahl der vergleichbaren Arbeitnehmer eine solche typischerweise bei normaler betrieblicher und personeller Entwicklung genommen habe. […] Darüber hinaus gehende Vergütungserhöhungen verstießen gegen das Begünstigungsverbot aus
§ 78 Satz 2 BetrVG.

Die Ausführungen des BGH können auf Basis des Zusammenspiels der Regelungen von § 78 Satz 2 BetrVG und § 37 Abs. 4 BetrVG nicht überzeugen. Sie lassen darauf schließen, dass die Vergütung von (freigestellten) Betriebsratsmitgliedern ausschließlich nach einer Vergleichsgruppenbildung zu erfolgen habe. Diese Annahme ist bereits mit dem Wortlaut des § 37 Abs. 4 BetrVG („nicht geringer“) unvereinbar. Die Vorschrift stellt lediglich die Untergrenze der Vergütung dar. Diesbezüglich formuliert das Bundesarbeitsgericht zutreffend, § 37 Abs. 4 BetrVG enthalte gerade keine abschließende Regelung über die Höhe des Arbeitsentgelts des Betriebsratsmitglieds. Einem Betriebsratsmitglied ist gemäß § 78 Satz 2 BetrVG eine höhere Vergütung zu zahlen, als es der Anpassung an die betriebsübliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer entspricht, soweit das Betriebsratsmitglied sich (auch) ohne Betriebsratstätigkeit besser als die nach § 37 Abs. 4 BetrVG relevante Vergleichsgruppe entwickelt hätte.
§ 78 Satz 2 BetrVG ist die Obergrenze der Vergütung.

Das Betriebsratsmitglied hat sich daher zu fragen, welche individuelle Entwicklung es ohne Betriebsratsamt genommen hätte. Wäre ihm eine höherwertigere Tätigkeit übertragen worden, hat das Mitglied einen Anspruch auf die höhere Vergütung der zu übertragenden Stelle. Individuelle Ausnahmekarrieren sind weiterhin nicht verboten, geschweige denn unüblich, sodass jede andere Annahme gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen würde. Die vom BGH gesetzten Grenzen dürfen nicht unreflektiert bei einer möglichen Überprüfung der Betriebsratsvergütung freigestellter Betriebsrät*innen angewendet werden. Die Entscheidung dürfte aber für diese Arbeitnehmergruppe zu neuen praktischen Problemen bis hin zu arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten führen. Die betroffenen Betriebsratsmitglieder im VW-Konzern beispielsweise werden die Reduzierung ihrer Vergütung sicher nicht unkommentiert hinnehmen. Das birgt zumindest die Chance, dass die Arbeitsgerichtsbarkeit die Grenzen der Vergütung korrigiert. Wünschenswert bliebe aber, wie bereits im September-Beitrag angemerkt, dass sich der Gesetzgeber einschaltet und diese Problematik zum Wohle aller neuregelt.