Doppelerfolg für LNS beim BAG
Im Oktober 2022 gab es für uns doppelten Grund zum Feiern. Gleich zwei Rechtsbeschwerden unserer Rechtsanwälte und Fachanwälte, in persona Gero Riekenbrauck und Fabian Kästner, hatten vor dem Bundesarbeitsgericht Erfolg. Eine der beiden Rechtsbeschwerden war zuvor eine Nichtzulassungsbeschwerde vorausgegangen, deren Erfolgsquote bekanntermaßen bei ernüchternden 4% liegt.
Die Botschaften der obersten deutschen Arbeitsrichter lauten:
- Die Nachholung innerbetrieblicher Stellenausschreibungen im laufenden Zustimmungsersetzungsverfahren ist unwirksam. Die arbeitgeberseitige Kündigung einer freiwilligen Betriebsvereinbarung zur Regelung von internen Stellenausschreibungen beseitigt nicht das einseitige Forderungsrecht des Betriebsrats auf interne Stellenausschreibungen nach § 93 BetrVG.
- Hat der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer ohne Beteiligung des Betriebsrats ein-gestellt oder versetzt, kann er ein rechtzeitiges – und damit insoweit ordnungsgemäßes – Zustimmungsersuchen nach § 99 Abs. 1 BetrVG nur dann an den Betriebsrat richten, wenn er die personelle Einzelmaßnahme zuvor aufgehoben hat.
BAG vom 11.10.2022 – 1 ABR 16/21
Was war geschehen?
Im Jahr 2010 hatten die Betriebsparteien eine Betriebsvereinbarung „Ausschreibung und Vergabe von Stellen“ abgeschlossen, die in § 2 vorsah, dass „grundsätzlich […] alle freien offenen Stellen intern ausgeschrieben werden“. Die Arbeitgeberin kündigte die nicht nachwirkende Betriebsvereinbarung im Mai 2013.
Im Zuge einer Änderung der Betriebsorganisation beabsichtigte die Arbeitgeberin schließlich im Jahr 2018, eine Mehrzahl von Arbeitnehmer*innen zu versetzen.
Im Verfahren 1 ABR 16/21 ging es zunächst um die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu den Versetzungen von insgesamt zwölf Arbeitnehmer*innen. Im Mai 2018 hatte der Betriebsrat – nach ordnungsgemäß erfolgter Anhörung durch die Arbeitgeberin – die Zustim-mung zur Vornahme der Versetzungen verweigert und sich dabei insbesondere auf die fehlende Ausschreibung der zu besetzenden Arbeitsplätze berufen.
Die Arbeitgeberin leitete daraufhin mehrere Zustimmungsersetzungsverfahren ein und holte zwischen April und Mai 2019 die internen Stellenausschreibungen nach, jedoch ohne die vorläufigen Versetzungen rückgängig zu machen. Im Juni 2019 ersuchte sie den Betriebsrat erneut um Zustimmung zu den Versetzungen, die dieser abermals verweigerte.
Während das Arbeitsgericht die Anträge der Arbeitgeberin in der ersten Instanz zunächst abgewiesen hatte, gab ihnen das LAG Köln überraschend statt. Nach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde hatte die vom BAG zugelassene Rechtsbeschwerde von LNS schließlich Erfolg.
Das sagt das BAG
Der Betriebsrat hat seine Zustimmung zu den beabsichtigten Versetzungen zu Recht – unter Berufung auf § 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG – verweigert. Trotz eines entsprechenden Ausschreibungsverlangens seitens des Betriebsrats ist die Ausschreibung der betroffenen Stellen zu Unrecht unterblieben.
Bei dem Verlangen zur innerbetrieblichen Stellenausschreibung handelt es sich um eine einseitige Erklärung des Betriebsrats, die der Arbeitgeberin zugehen muss. Zwar können die Betriebsparteien über Form, Inhalt und Ausgestaltung der Ausschreibung eine (freiwillige) Betriebsvereinbarung schließen. Unabhängig davon, welche der Betriebsparteien eine derartige Betriebsvereinbarung initiiert, ist hierin immer ein – einseitiges – Ausschreibungsverlangen des Betriebsrats zu sehen. Dieses kann die Arbeitgeberin nicht nur eine Kündigung der Betriebsvereinbarung beseitigen.
Die Arbeitgeberin konnte die unterbliebenen Ausschreibungen der betroffenen Stellen im laufenden Zustimmungsersetzungsverfahren schließlich nicht wirksam heilen. Andernfalls würde der Sinn und Zweck der innerbetrieblichen Stellenausschreibung konterkariert.
Eine vorherige Bekanntmachung freier Stellen im Betrieb dient der Aktivierung des innerbetrieblichen Arbeitsmarktes. Die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer*innen erhalten Gelegenheit, sich auf die zu besetzenden Arbeitsplätze zu bewerben. Erfolgt eine innerbetriebliche Stellenausschreibung erst nachdem die Arbeitgeberin ihre Entscheidung über die Stellenbesetzung getroffen – und sie dem Betriebsrat mit der Bitte um Zustimmung unterbreitet hat – wird dieses Ziel unterlaufen. Bereits die Kundgabe einer Besetzungsentscheidung gegenüber dem Betriebsrat birgt die Gefahr, dass bei den (übrigen) Arbeitnehmer*innen des Betriebs der Eindruck entstünde, die Arbeitgeberin habe – die aus ihrer Sicht – am besten geeigneten Per-sonen für die zu besetzende Stellen bereits ausgewählt.
BAG vom 11.10.2022 – 1 ABR 18/21
Was war geschehen?
Im Zuge der betrieblichen Neuorganisation wies die Arbeitgeberin dem Leiter der Abteilung Z ab Ende Mai 2018 die Position des Leiters der neu eingerichteten Abteilung QSM zu. Eine Anhörung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG erfolgte nicht, woraufhin dieser einen Antrag auf Aufhebung der personellen Einzelmaßnahme beim Arbeitsgericht stellte.
Das Arbeitsgericht gab der Arbeitgeberin schließlich auf, die Versetzung aufzuheben. Anfang Januar 2020 teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat sodann mit, die Versetzung des betroffenen Arbeitnehmers zurückzunehmen. Gleichzeitig ersuchte sie den Betriebsrat um Zustimmung zu der beabsichtigten (erneuten) Versetzung des Arbeitnehmers auf dieselbe Stelle. Zudem teilte die Arbeitgeberin mit, die Versetzung vorläufig durchzuführen. Der Betriebsrat verweigerte seine Zustimmung.
In dem von der Arbeitgeberin daraufhin eingeleiteten Zustimmungsersetzungsverfahren hatte das Arbeitsgericht die Anträge der Arbeitgeberin zunächst abgewiesen. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin gab das Landesarbeitsgericht den Anträgen zweitinstanzlich statt. Die von LNS vor dem BAG eingelegte Rechtsbeschwerde hatte ebenfalls Erfolg.
Das sagt das BAG
Der arbeitgeberseitig eingeleitete Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung des Arbeitnehmers auf die Position des Leiters der Abteilung QSM ist unbegründet. Es fehlt an einer ordnungsgemäßen Unterrichtung des Betriebsrats gemäß § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG. Eine solche ist indes Voraussetzung für die gerichtliche Zustimmungsersetzung.
§ 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG verlangt, dass die Arbeitgeberin den Betriebsrat „vor“ der personellen Maßnahmen unterrichtet und dessen Zustimmung zu der „geplanten“ Maßnahme einholt. Die Unterrichtung des Betriebsrats kann demnach – denknotwendigerweise – nur zu einer Zeit erfolgen, in der eine geplante Entscheidung, zumindest ohne weiteren Aufwand, revidiert werden kann.
Eine Unterrichtung des Betriebsrats, die erst nach einer – zustimmungsbedürftigen – Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs erfolgt, ist insoweit nicht fristgerecht und demzufolge auch nicht ordnungsgemäß. Hieran ändert auch eine vermeintliche „Rücknahme“ der personellen Einzelmaßnahme unter gleichzeitiger Anhörung zu einer „erneuten“, vorläufig durchzuführenden Versetzung nichts. Von einer ohne Beteiligung des Betriebsrats erfolgten und bereits durchgeführten Versetzung kann die Arbeitgeberin nur Abstand nehmen, indem sie die Maßnahme tatsächlich aufhebt. Der Einsatz des Arbeitnehmers auf der ihm zuletzt zugewiesenen Stelle hat insoweit – zumindest vorübergehend bis zur Einleitung eines etwaigen neuen Beteiligungsverfahrens nach §§ 99 Abs. 1, 100 Abs. 2 BetrVG – zu unterbleiben.
Überraschend war in diesem Zusammenhang insbesondere die vorangegangene, antragsstattgebende Entscheidung des LAG Köln. Hatte doch der 7. Senat des BAG im Rahmen eines Aufhebungsverfahrens nach § 101 BetrVG bereits unter materiellrechtlich identischen Erwägungen die Ordnungsgemäßheit einer Anhörung zur personellen Einzelmaßnahme abgelehnt (BAG, Beschluss vom 21.22.2018 – 7 ABR 16/17). Diese Rechtslage sollte mit der erneuten Bestätigung durch das BAG nunmehr abschließend klargestellt sein.
Die Beschlüsse als Download
Die Beschlüsse des BAG können Sie hier als PDF herunterladen.