Wie der Online-Lieferdienst Flink eine „Mitbestimmung“ eigener Art schafft.
Ende 2021 sorgte der Flink-Konkurrent „Gorillas“ für mediale Aufmerksamkeit. Zunächst entließ das Start-Up 350 Arbeitnehmer*innen des Berliner Standorts. Fristlos und ohne vorherige Abmahnung. Die Beschäftigten hatten sich im Rahmen eines wilden Streiks für eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen eingesetzt. Auf die Einleitung von Betriebsratswahlen reagierte das Unternehmen wenig später mit einer „organisatorischen Anpassung“ und einem einstweiligen Verfügungsverfahren. Jedoch ohne Erfolg.
Den Arbeitnehmer*innen ist es – jedenfalls vorerst – gelungen, einen 19-köpfigen Betriebsrat für den Bereich Berlin zu etablieren. Ruhe eingekehrt ist damit keine. Im Dezember 2021 erklärte der Arbeitgeber, die Wahl im Rahmen eines sog. Anfechtungsverfahrens gerichtlich überprüfen lassen zu wollen. Gleichzeitig betonte der Online-Lieferdienst, dass man „trotz bestehender Zweifel an der Gültigkeit der Wahl“ mit dem Betriebsrat zusammenarbeiten wolle.
Ein Versprechen, an das sich drei Monate später offenbar niemand mehr erinnern kann. Erst vergangene Woche wurde bekannt, dass Gorillas einen seiner Berliner Standorte schließt. Grund dafür sind Denkmalschutzauflagen der zuständigen Behörde. Doch statt mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich und Sozialplan zu verhandeln, sollen 87 Beschäftigte – darunter drei Betriebsratsmitglieder – die Kündigung erhalten.
Ähnlicher medialer Aufmerksamkeit scheinen die Gründer*innen des Branchenprimus Flink vorbeugen zu wollen. Ende Februar veröffentlichte gründerszene.de Pläne des Unternehmens zur Etablierung einer „Mitbestimmung eigener Art“. Einem dreiseitigen Informationsschreiben an die Beschäftigten ist zu entnehmen, dass diese künftig in sog. „Ops Committees“ mit „Ideen und kritischem Feedback an wichtigen Entscheidungen von Flink proaktiv beteiligt werden“ sollen.
Tatsächlich sehen die Pläne vor, dass die Mitglieder der „Ops Committees“ mit für Betriebsratsmitgliedern vergleichbaren Rechten ausgestattet werden sollen: die Zurverfügungstellung von Sachmitteln, die Gewährung von Freistellungen sowie ein (nur) 6-monatiger Kündigungsschutz.
Die Gewährung der – wohlbemerkt auf freiwilliger Basis – zugesagten Freistellung, dürfte jedoch spätestens dann entfallen, wenn die Mitglieder der „Ops Committees“ ihre Tätigkeiten auf Felder ausweiten, die nicht mehr im Sinne der Erfinder*innen sind. Auch die vorgesehenen Informationsrechte der „Ops Committees“ bleiben weit hinter dem zurück, was das Betriebsverfassungsrecht für Betriebsräte vorsieht.
Unser Partner & Fachanwalt für Arbeitsrecht, Ralf Scholten, hat die Pläne im Gespräch mit dem Redakteur Daniel Hüfner von gründerszene.de bewertet: „[…] wer ein solches System einmal eingeführt hat, macht es Arbeitnehmern noch schwerer, einen echten Betriebsrat nach deutschem Recht zu rechtfertigen – auch gegenüber deren Kollegen. Wer echte Arbeitnehmervertretungen will, unterstützt die Wahl von Betriebsräten und die Zusammenarbeit mit der zuständigen Gewerkschaft.“
Hinzu kommt, dass die Mitglieder der „Ops Committees“ – anders als im Rahmen der aktuell deutschlandweit stattfindenden Betriebsratswahlen – gerade nicht von den Arbeitnehmer*innen gewählt, sondern von Vertretern des Arbeitgebers einseitig bestimmt werden. „Das ist“, so Ralf Scholten, „das genaue Gegenteil einer Betriebsratswahl.“ Sozusagen ein „Betriebsrat“ contra legem.