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Arbeit auf Abruf vs. Realität

Die seit 2005 existierende Rechtsprechung hat nun Einzug ins Gesetz genommen und den § 12 TzBfG zu Arbeitsverhältnissen, die „auf Abruf“ erfolgen, weiter konkretisiert. So gut so schön. Doch was hat das mit der betrieblichen Praxis – der Realität – zu tun?

Ein Arbeitsverhältnis, welches nicht auf Abruf gem. § 12 TzBfG beruht, genießt im Rahmen der vertraglich festgelegten Arbeitszeit umfassenden Arbeitnehmerschutz. Danach sind Arbeitgeber*innen gem. § 615 S. 3 BGB zur vollumfänglichen Lohnzahlung verpflichtet, selbst wenn sie die Arbeitnehmer*innen nicht beschäftigen können. Dies gilt auch in Fällen des wirtschaftlichen oder betrieblich-technisch bedingten Arbeitsausfalls. Das Risiko liegt allein bei den Arbeitgeber*innen.

Davon abweichend gibt es die Fälle der „Arbeit auf Abruf“. Dabei ist die Dauer der Arbeitszeit auf einen bestimmten Zeitraum im Arbeitsvertrag festgelegt und die Lage der Arbeitszeit von der Konkretisierung der Arbeitgeber*innen durch Abruf abhängig. Die Arbeitnehmer*innen wissen, wie viele Arbeitsstunden anfallen werden. Die Arbeitgeber*innen können die Lage der Arbeitszeit jedoch flexibel und einseitig gestalten. Der Vorteil für Arbeitgeber*innen ist hierbei, die Arbeitnehmer*innen ausschließlich für die eingeplante und geleistete Arbeit entlohnen zu müssen. Etwaiges Ausfallrisiko ist durch entsprechenden (Nicht-)Abruf der Arbeitsleistung flexibel zu kompensieren. Das (Ausfall-)Risiko wird demnach auf die Arbeitnehmer*innen übertragen.

In Abkehr von der alten Gesetzeslage gilt seit 2019 jedoch bei einer fehlenden Vereinbarung der Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit eine Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart (sog. „Fiktion“), vgl. § 12 Abs. 2 TzBfG. Sofern für die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit eine Mindestarbeitszeit vereinbart worden ist, so dürfen die Arbeitgeber*innen nur bis zu 25 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit zusätzlich abrufen. Ist für die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit eine Höchstarbeitszeit vereinbart, so dürfen die Arbeitgeber*innen nur bis zu 20 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit weniger abrufen, vgl. § 12 Abs. 2 TzBfG. Gekrönt wird dies von der festgelegten Ankündigungszeit von mindestens vier Tagen gegenüber den Arbeitnehmer*innen, vgl. § 12 Abs. 2 TzBfG. Und auch das Nachweisgesetz verlangt nun die Aufnahme einer Reihe von Regelungen im Arbeitsvertrag.

Wir begrüßen eine arbeitnehmerfreundliche Wendung unseres Gesetzgebers sehr, gleichwohl sehen wir die betriebliche Praktikabilität der „Arbeit auf Abruf“ deutlich schwinden.

Es ist eine Flut an gesetzlichen Vorgaben, die die – vom Gesetzgeber gewollte – erhöhte Flexibilität der Arbeitgeber*innen zu Nichte macht. Das Arbeitsverhältnis auf Abruf wird durch die gesetzlichen Änderungen in ein Korsett gepresst, welches im Einzelfall zu passen scheint, jedoch sicherlich nicht für die Vielzahl an bestehenden Fällen geeignet ist. Dies mag daran liegen, dass die betriebliche Praxis bereits eine Vielzahl an Möglichkeiten wie Flexible Arbeitszeitkonten (aus-)nutzt, welche eine deutlich höhere Praktikabilität aufweisen. Demnach führt die durch die Gesetzgebung gewollte Intention, die Rechte der Arbeitnehmer*innen „auf Abruf“ zu stärken, ins Gegenteil: die durch die Gesetzesänderungen schwindende Praktikabilität auf Seiten der Arbeitgeber*innen, gepaart mit dem Bestehen anderer Instrumente der Arbeitszeit, lässt das Arbeitsverhältnis „Arbeit auf Abruf“ unattraktiv erscheinen. Die Realität schreit nach Fachkräften, doch wie passt nun „Arbeit auf Abruf“ in dieses System? Unsere Antwort: Leider verfehlt!