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Kein Verzicht auf gesetzlichen Urlaub durch Prozessvergleich

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 3. Juni 2025 (Az.: 9 AZR 104/24) eine wegweisende Entscheidung getroffen, die erhebliche Auswirkungen auf die arbeitsrechtliche Praxis haben wird: Ein Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub durch einen Prozessvergleich ist unwirksam.

Was war geschehen?
Der Kläger war bei der Beklagten vom 1. Januar 2019 bis zum 30. April 2023 als Betriebsleiter beschäftigt. 2023 war er von Beginn des Jahres bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und deshalb nicht in der Lage, seinen Urlaub aus diesem Jahr in Anspruch zu nehmen.
In einem gerichtlichen Vergleich vom 31. März 2023 verständigten sich die Parteien u.a. darauf, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung durch arbeitgeberseitige Kündigung zum 30. April 2023 endet. Ziffer 7 des Vergleichs lautete:

„Urlaubsansprüche sind in natura gewährt.“

Mit seiner Klage hat der Kläger von der Beklagten verlangt, die noch offenen sieben Tage gesetzlichen Mindesturlaubs aus dem Jahr 2023 mit einem Betrag i.H.v. 1.615,11 Euro nebst Zinsen abzugelten. Der im gerichtlichen Vergleich geregelte Verzicht auf den unabdingbaren Mindesturlaub sei unwirksam. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben.

Das sagt das BAG:
Dem Kläger steht gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG ein Anspruch auf Abgeltung seines nicht erfüllten gesetzlichen Mindesturlaubs aus dem Jahr 2023 zu. Daran ändere auch der gerichtliche Vergleich zwischen den Parteien nichts.

Das oberste Arbeitsgericht stellte klar, dass weder der gesetzliche Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub noch ein erst künftig – mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses – entstehender Anspruch auf Abgeltung gesetzlichen Mindesturlaubs im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt werden darf. Dies gelte selbst dann, wenn bei Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs, der eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung regelt, bereits feststeht, dass der Arbeitnehmer den gesetzlichen Mindesturlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht mehr in Anspruch nehmen kann. Insoweit sei die zu Grunde liegende Regelung in Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG eindeutig. Im bestehenden Arbeitsverhältnis darf der Arbeitnehmer nicht gegen und erst recht nicht ohne finanziellen Ausgleich auf den gesetzlichen Mindesturlaub „verzichten“.

Abschließend betonte das Gericht, dass sich die Beklagte nicht auf den Einwand berufen kann, dass es dem Kläger nach Treu und Glauben verwehrt sei, sich auf die Unwirksamkeit des Anspruchsausschlusses zu berufen. Die Beklagte durfte nicht auf den Bestand einer offensichtlich rechtswidrigen Regelung vertrauen.

Fazit
In der Praxis kommt es regelmäßig vor, dass Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen über die Konditionen einer Beendigung verhandeln. Dabei sind Gegenstand der Verhandlungen und der am Ende ggf. erreichten Einigung neben der Zahlung einer Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes, dem Arbeitszeugnis etc. oftmals auch die offenen Urlaubsansprüche. Sofern das (vereinbarte) Ende des Arbeitsverhältnisses in der Zukunft liegt, ist ein Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub im Wege des gerichtlichen Vergleichs nicht möglich. Arbeitnehmer*innen können in dem Fall selbst nach Abschluss des gerichtlichen Vergleichs nachträglich seine Abgeltungsansprüche für nicht genommenen Urlaub einfordern und, wenn nötig, erfolgreich einklagen.
Daher ist bei der Formulierung von Vergleichen, ob gerichtlich oder außergerichtlich stets sorgsam auf die entsprechenden Formulierungen zu achten, um für beide Parteien eine endgültige Lösung herbeizuführen und Streitigkeiten in der Zukunft zu vermeiden.

von Abderrahim Ellabbar