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Der Anspruch deutscher Arbeit

Die Diskussion darüber, wie der Arbeitsalltag auszusehen hat, ist allgegenwärtig. Während der frühere Bundesminister Thomas de Maizière „längere, mehr und bessere Arbeit“ im Sinne des Gemeinwohls fordert, werden die Rufe nach einer kürzeren Arbeitswoche und einer umfassenden Homeoffice-Pflicht lauter.

Im Rahmen seiner Tätigkeit als Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages äußerte de Maizière sein Missfallen darüber, dass – insbesondere die Jüngeren – Teilzeitarbeit und Homeoffice im Zuge ihrer eigenen Bedürfnisse verlangen. Er forderte Arbeit ganz im Sinne des Gemeinwohls, um als Land nicht wirtschaftlich durchgereicht zu werden und sieht Länder wie Asien als Vorbild. Doch ist dem so? Und welcher Anspruch kann überhaupt derzeit geltend gemacht werden?

Homeoffice und Teilzeitarbeit

Der Wegfall der pandemiebedingten Homeoffice-Pflicht zum 19. März 2023 bedingt keineswegs auch den Wegfall des mobilen Arbeitens als solches. Wie wir bereits im Oktober 2022 informiert haben, besteht und bestand zwar kein Recht auf Homeoffice, jedoch werden Arbeitgeber*innen Schwierigkeiten haben, den Mitarbeiter*innen das mobile Arbeiten dort zu versagen, wo es bereits während des Lockdowns gut funktioniert hat. Das entscheidende Sicherungselement ist und bleibt die betriebliche Regelung. Eine ausgewogene Betriebsvereinbarung, welche die Interessen beider Seiten hinreichend würdigt, ist nach wie vor das Maß der Dinge.
Bei den Regelungen zur Teilzeitarbeit sieht das schon ganz anders aus: als Arbeitnehmer*in kann man grundsätzlich eine Verringerung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verlangen. Eine gemeinsame Erörterung mit dem Arbeitgeber soll zu einer Vereinbarung führen. Dabei spielen verschiedene zu berücksichtigende Rahmenbedingungen eine Rolle. Dazu zählen das Erfordernis zumindest 15 beschäftigter Arbeitnehmer*innen und das Bestehen des Arbeitsverhältnisses für mindestens sechs Monate. Weitere Einzelheiten folgen insbesondere aus § 8 TzBfG.

Deutschland führt in Sachen Brutto-Inlandsprodukt

Im Ranking der Länder mit dem größten Bruttoinlandsprodukt (BIP) steht Deutschland im Jahr 2022 mit 4.075,4 Milliarden US-Dollar auf Platz vier. Während das BIP die letzten Jahre immerhin noch um 1,0 % pro Jahr anstieg, schrumpft das Wirtschaftswachstum den Informationen des statistischen Bundesamtes zufolge in der letzten Quartalsperiode zum Vorquartal um -0,3 %. Das Wirtschaftswachstum betrug für das Jahr 2022 noch 1,78 Prozent. Dass diese Minderung auf die Arbeitskraft zurückzuführen sei, ist nicht dargelegt. Vielmehr wird davon auszugehen sein, dass dies an dem Krieg in der Ukraine und der Inflation, insbesondere den gestiegenen Energiepreisen, liegt. Derweil liegen Länder wie China (18.100,04 Milliarden US-Dollar) und die USA (25.464,48 Milliarden US-Dollar) auf den Plätzen zwei und eins. Deren Wirtschaftswachstum lag 2022 bei 2,99 und 2,07 Prozent und damit, ebenso wie in Deutschland, unter dem Wachstum vor der Coronapandemie. Dasselbe gilt für das derzeit (noch) an fünfter Stelle stehende Indien (3.386,4 Milliarden US-Dollar), welches aufgrund seines Wirtschaftswachstums von 6,83 Prozent langfristig an Deutschland vorbeiziehen wird.
Betrachtet man die wirtschaftliche Situation ist klar: Deutschland muss etwas dafür tun, um seine internationale Wirtschaftslage beizubehalten. Laut Bundesfinanzminister Christan Lindner sind dazu beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie das Anlocken von Fachkräften samt Investitionen in die Forschung von Nöten. Ein Rückschluss auf eine potenziell gesunkene Arbeitsmoral ist jedoch nicht anzustellen.

Das (Un-)Gleichgewicht zwischen Arbeitsmoral und Arbeitskraft

Gerade die jüngeren Menschen haben einer aktuellen Umfrage zufolge zunehmend den Wunsch, weniger zu Arbeiten und befürworten Arbeitsplätze, welche Teilzeitarbeit und eine 4-Tage-Woche vorsehen. Durch die vielen offenen Stellen auf dem Arbeitsmarkt haben die Forderungen der Arbeitnehmerseite, zurzeit auch ein erhöhtes Stimmgewicht. Dennoch bleibt zu verzeichnen, dass solche Modelle nicht überall sinnvoll umgesetzt werden können. Demzufolge wird sich der Gesetzgeber wohl bedeckt halten, solche Regelungen verbindlich vorzusehen. Auf tarifvertraglicher Ebene haben die Diskussionen über die 4-Tage-Woche allerdings begonnen. Es ist eine Gratwanderung, bei der die wirtschaftliche Gefahrenlage mit den arbeitnehmerseitigen Wünschen nach mehr Freizeit und Flexibilität in Einklang zu bringen sind.
Wir empfehlen, überall dort wo die Regelung verkürzter Arbeitszeit oder die Schaffung von geregelte Homeofficezeiten eine Steigerung der Arbeitsmoral und damit der Arbeitskraft bedingen kann, die individuellen betrieblichen Interessen im Rahmen einer Betriebsvereinbarung zu würdigen.
Denn: die Arbeitnehmer*innen haben ein erhebliches Stimmgewicht.